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„da ist musik drin“

Gerd Müller ist Innovationschef der Fiducia & GAD.
Im Interview erklärt er, warum die Zukunft des Bankings in den digitalen Ökosystemen liegt.

Gerd Müller

Gerd Müller, 53, sammelte in ­Anwenderunternehmen in verschiedenen Branchen und in einem großen deutschen Softwarehaus Erfahrungen als Entwickler, Projektleiter und Manager. 1997 wechselte er dann in die genossenschaftliche Organisation und startete als Leiter einer Abteilung für die Entwicklung von Standardkomponenten bei der Rechenzentrale Bayerischer Genossenschaften, die sich 2003 mit der Fiducia zusammenschloss. Bei der Fiducia & GAD leitet er den Bereich Architektur und Innovation.

Herr Müller, bevor wir über digitale Öko­systeme reden: Wollen Sie den Begriff mal definieren?
Ja, das ist wichtig. Man kann alles Mögliche darunter verstehen. Ganz allgemein gesprochen handelt es sich um digitale Plattformen, auf denen Partner sich vernetzen und gemeinsam Geld verdienen. Klingt banal, aber das hat es in sich. Denn wie wird das Geld verdient? Mit völlig neuen Wertschöpfungsmodellen. Und da ist Musik drin.

Also eigentlich nichts anderes als Sharing Economy …
Falsch! Die Sharing Economy hat mit Teilen wenig ­zu tun. Die Wertschöpfung und damit der Gewinn fließen fast ausschließlich in die Hände einiger weniger Kapital­geber und Eigentümer. Ich denke da an Plattformen wie Airbnb oder globale Netzwerke wie Uber.

Und im digitalen Ökosystem?
Im Idealfall handelt es sich praktisch um eine s­ymbiotische Beziehung oder ein Beziehungsgeflecht. Das System kann nur leben, wenn jedes einzelne Mitglied davon profitiert und die Gemeinschaft insgesamt auch.

Wie sähe dieses Beziehungsgeflecht bei der Fiducia & GAD und den Genossenschafts­banken aus?
Den Begriff des digitalen Ökosystems füllen wir erst sinnvoll aus, wenn wir uns anschauen, was der Kunde eigentlich will: gut leben, sich ab und zu mal etwas Schönes gönnen – vielleicht eine tolle Reise, ein neues Auto, ein Haus. Wir reden also über Lebensgestaltung. Alle Anbieter, die zu dieser Lebensgestaltung beitragen können, sind als Partner für eine gemeinsame Plattform denkbar. Die Bank wird zum Drehkreuz für die Erfüllung der Kundenwünsche.

Gerd Müller

Wir trafen Gerd Müller in der Bavaria-Filmstadt im Süden von München. Die Fotos entstanden an einem der Drehorte des Films „Big Game“ mit Samuel L. Jackson von 2014. Zu sehen ist das nachgebaute Innere der Air Force One. Für Müller als Technologiefan eine faszinierende Kulisse. Mit „Mr. President“ mussten wir ihn aber nicht ansprechen …

Kann man den Banken dieses Modell vermitteln?
Auf jeden Fall. Schauen Sie, die Genossenschaftsbanken agieren doch als lokale Player seit jeher in Ökosystemen – wenngleich in analogen, sozusagen. Sie sind mit Verwaltung, Wirtschaft und Gesell­schaft ihres Umfeldes eng verzahnt. Sie sind nicht nur Partner der Bürger in ihrer Stadt oder ihrem Landkreis, sondern unterstützen und fördern auch die Leistungs­fähigkeit der heimischen Wirtschaft. Was vielen Häusern noch fehlt, ist eine Vorstellung davon, wie man dieses Netzwerk digital transformiert.

Was wäre denn ein Einstiegsszenario?
Man darf sich vor allem nicht gleich zu Beginn verzetteln. In kleinen Schritten anfangen heißt die Devise, also digitales Ökosystem light.

Beispiel?
Ein Beispiel wäre: Der Kunde will ein Haus bauen. Bislang sucht er die Bank nur auf, weil es ihm um die Finanzierung geht. Aber rings um das Thema sind so viele weitere Aspekte gelagert: die Suche nach dem passenden Grundstück, die Auswahl des Architekten, Behördengänge, die Auswahl der Baufirma und der Handwerker, der Umzug, Einrichtungsfragen, Ummeldungen … Es wäre doch super, wenn die Bank nicht nur Ort meines Vertrauens wäre, weil ich dort Geld bekomme, sondern weil sie mir ein Rundum-Sorglos-­Paket anbietet.

Das heißt, die Bank liefert die Lösung gewissermaßen schlüsselfertig?
Sie stellt die Plattform zur Verfügung, über die der Kunde alles aus einer Hand bekommt. Wie in der Natur wird sich dieses Ökosystem selbst erhalten und steuern. Das klingt einfach, erfordert aber in Wirklichkeit viel Energie und einen langen Atem. Andere Plattformen haben gezeigt, dass so etwas Jahre braucht – aber es lohnt sich.

„Wir müssen bei der ­Entwicklung neuer Produkte noch viel mehr die Sicht ­des Bankkunden einnehmen.“

Das erfordert bei den Banken ein neues Selbstverständnis.
Ja, sie entwickeln sich vom Verkäufer von Finanz­produkten zum Lebensphasenbegleiter ihrer Kunden. Dass die Volksbanken Raiffeisenbanken dabei für Vertrauenswürdigkeit und Sicherheit stehen, können sie zu ihrem Vorteil nutzen.

Und die Fiducia & GAD?
Auch wir müssen unsere Denkweise und unsere Skills verändern und bei der Entwicklung neuer Produkte noch viel mehr die Sicht des Bankkunden einnehmen. Auch wir werden uns wandeln – vom Produktverkäufer zum Szenarienlöser für die Banken.

Wie machen Sie das?
Indem wir mit unternehmerischer Leidenschaft denken, viel mehr ausprobieren und experimentieren als früher. Allein schon deshalb, weil es um Lösungen geht, deren künftige Anforderungen und Technologien wir heute ja zum Teil nur ansatzweise erahnen. Vor uns liegt das unbekannte Land. Wir setzen Projekte agil auf. Das heißt: Wir entwickeln zusammen mit Banken Geschäftsmodelle für neue Lösungen, validieren sie im Vorfeld mit Vertretern der späteren Anwendergruppe und entwickeln ein Vorläuferprodukt, das sogenannte Minimal Viable Product. Das testen wir erst einmal als Prototyp bei den beteiligten Banken und ihren Kunden. Wir laden also alle zum Mitmachen ein, die später aus der Lösung Nutzen ziehen können. Und wenn wir es auf halber Strecke wieder verwerfen müssen – dann war der Aufwand vergleichsweise gering, aber der Lerneffekt groß.

Welche Vorteile bringt das mit sich?
Wir können Zukunftsszenarien schneller und preiswerter testen. Und wir binden die Banken als unsere Kunden sowie deren Kunden in diesen Findungsprozess ein. Neue Lösungen entstehen nicht am Reißbrett, sondern im Labor und auf der Straße und können flexibel angepasst werden. Auch hier lebt übrigens der Gedanke vom digitalen Ökosystem.

Und was hat die einzelne Bank davon?
Sie kann sich in ihrem lokalen Umfeld völlig neu aufstellen, größere Aufmerksamkeit für sich erzeugen, die weit über die bisherige Klientel hinausgeht. Sie wächst über das klassische Banking hinaus, je mehr Geldgeschäfte der herkömmlichen Art zu Commodities und zu Me-too-Produkten werden.

Aber sie gibt dann doch auch einen Teil der Kontrolle aus der Hand, oder?
In Maßen, aber sie gewinnt dafür Mitsprache in neuen, expandierenden Märkten. Und das ist dann echte Zukunftssicherung für die kommenden fünf bis vielleicht zehn Jahre, weil die Banken mit einem größeren Wertversprechen auftreten. Nicht: Wir „verkaufen“ dir Geld. Sondern: Wir machen dein Leben als Verbraucher bequemer oder dich als Firma erfolgreicher.